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Rassistische Fremdbezeichnungen - eine schlechte Tradition

Ruth und Thomas Hunstock
Germany

Apr 14, 2021 — 

Definition von Tradition im Duden: “Etwas, was im Hinblick auf Verhaltensweisen, Ideen, Kultur o.Ä. in der Geschichte, von Generation zu Generation (innerhalb einer bestimmten Gruppe) entwickelt und weitergeben wurde (und weiterhin Bestand hat).“ 

Die deutsche Afrikaterminologie zeigt exemplarisch, dass sich der koloniale Afrikadiskurs nachhaltig in die deutsche Gesellschaft eingeschrieben hat. Begriffe die mit einer perfiden kolonialen Benennungsmethodik konstruiert wurden gelten noch heute bei vielen Menschen als “positives traditionelles Wortgut“, welches es zu verteidigen und zu pflegen gilt. Jede*r sollte aber wissen welche “Tradition“ sie*er durch die Verteidigung der Verwendung dieser Fremdbezeichnungen schützt und welche “Ideologie“ sie*er damit aufrechterhält.   

Um den Text verständlicher zu gestalten, haben wir im folgenden Text einige rassistische Fremdbezeichnungen ausgeschrieben. Für unsere folgenden Ausführungen haben wir verschiedene öffentliche Abhandlungen, u.a. Veröffentlichungen der Bundeszentrale für politische Bildung, herangezogen.

TRIGGERWARNUNG!

Als Sklaverei und Kolonialismus, die ökonomische Ausbeutung sowie die politische Unterdrückung Afrikas einer moralischen (Schein-)Legitimierung bedurften, formierte sich der Rassismus als Rechtfertigungsinstrument. Darauf aufbauend erfand Europa sein Afrika und in diesem Prozess war Sprache ein wichtiges Medium zur Herstellung und Vermittlung des Legitimationsmythos, Afrika sei das homogene und unterlegene "Andere" und bedürfe daher der "Zivilisierung" durch Europa.

Dieser Ansatz manifestiert sich in der kolonialen Benennungspraxis wobei afrikanische Eigenbezeichnungen ignoriert wurden. Da Afrika aber als "das Andere" konstruiert wurde, weigerten sich die europäischen Besatzer*innen gleichzeitig, für gegenwärtige europäische Gesellschaften gültige Begriffe auf den afrikanischen Kontext zu übertragen.

Wurde doch auf für den europäischen Kontext verwendete Begriffe zurückgegriffen, so handelte es sich um Bezeichnungen die mit Hinblick auf diesen abwertend benutzt werden und eine Bedeutungsverschiebung erfuhren: "Bastard" etwa fungierte ursprünglich als Bezeichnung für ein "uneheliches Kind" aus einer "nicht-standesgemäßen Liaison" (Adliger- Dienstmädchen). Im kolonialen Kontext wurde der Begriff auf Kinder aus Beziehungen von Schwarzen und Weißen übertragen. Dabei wurden u.a. auch Konnotationen wie "nicht-standesgemäß" und "illegitim" übertragen. Zudem wurde so ein assoziativer Bezug zum Tier- und Pflanzenreich hergestellt, wo der Begriff "Bastard" mit Unfruchtbarkeit assoziiert werden kann.

Auch wurden Begriffe herangezogen, die im deutschen Sprachgebrauch nur in Bezug auf vergangene Zeiten Verwendung finden und Konnotationen von "Primitivität" und "Barbarei" tragen. So bezeichneten Weiße etwa in Anlehnung an die historisierende Bezeichnung "germanische Stämme" Organisationsformen in Afrika pauschal als "Stämme". Damit wurden Gesellschaften in Afrika, wenn überhaupt, als höchstens mit einer früheren Epoche europäischer Geschichte vergleichbar gemacht und negierten die Diversität von Gesellschaften in Afrika. Außerdem wird durch das Operieren mit dem Begriff "Stamm" so getan, als ließen sich klare geographische und kulturelle Grenzen zwischen einzelnen afrikanischen Gesellschaften ziehen. Schließlich wird durch den Begriff eine wertende Gegenüberstellung zwischen "natürlich" wachsenden "Stämmen" und dem auf einem politischen Vertrag basierenden "Staat" als höherer Stufe der menschlichen Evolution impliziert. Dabei wird negiert, dass sich auch nicht-staatlich organisierte Gesellschaften auf komplexe politische Strukturen gründen.

Alternativ erfanden und etablierten Weiße auf der Grundlage ihrer Hegemonie oftmals neue Begriffe. So wurde etwa für die Vielzahl von Selbstbezeichnungen für Herrscher*innen in afrikanischen Gesellschaften ganz pauschal der Begriff "Häuptling" eingeführt. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem Wortstamm "Haupt-" und dem Suffix "-ling", das eine verkleinernde ("Prüfling", "Lehrling"), zumeist aber eine abwertende Konnotation (Feigling, Wüstling usw.) hat. Auch "Häuptling" ist ein abwertender Begriff. Unter anderem suggeriert er "Primitivität", was sich auch aus gängigen visuellen Assoziationen mit dem Wort erschließen lässt. Da das Wort zudem nur mit Männern assoziiert wird, bleibt die Machtausübung von Frauen im Kontext afrikanischer Gesellschaften ausgeblendet. Oft werden durch solche Neologismen gesellschaftliche Wirklichkeiten negiert. "Buschmänner" und "Hottentotten" etwa gibt es gar nicht. In einem willkürlichen Verfahren wurden verschiedene Gesellschaften des südlichen Afrika nach fragwürdigen Kriterien unter diesen Begriffen subsumiert. "Hottentotten" bezeichnet einige, aber bei weitem nicht alle Gesellschaften, in deren Sprache "Clicks" vorkommen. Das Wort stellt dabei den Versuch der Europäer*innen dar, diese ihnen fremde Artikulationsweise zu imitieren.

Andere Neologismen bauen auf der überholten Annahme auf, dass Menschen in "Rassen" unterteilt werden können. Dazu gehören etwa Termini wie "N-Wort", "Schwarzafrika", "Mulatte" und "Mischling". So wird eben ein Schwarzer Deutscher, nicht aber ein Kind aus einer weißen französisch-deutschen Beziehung als "Mischling" bezeichnet. "Schwarzafrika" folgt der kolonialen Unterteilung Afrikas in einen "weißen" Norden, dem der Westen ein gewisses Maß an Kultur und Geschichte zubilligt, und einem subsaharischem Afrika bar jeder Geschichte und Kultur. Dieser Grenzziehung, die mit Rassentheorien legitimiert wird, fehlt jede Grundlage. Durch die Ausgliederung des Nordens Afrikas wird zudem unzulässig so getan, als handele es sich bei dem Rest Afrikas um eine homogene Einheit.

Ein zentraler Baustein der Konstruktion von Afrika als unterlegener Gegenpol zu Europa durch Neologismen sowie Bedeutungserweiterungen und -übertragungen ist die begriffliche Herstellung eines hierarchischen Gegensatzes zwischen "Natur" und "Kultur". So wurde Afrika über Begriffe wie "Buschmänner" und "Naturvölker" als "Natur" konstruiert. Dabei wird häufig in einem rassistischen Verfahren, auf das bereits Frantz Fanon hingewiesen hat, über eine ausgeprägte Tiermetaphorik eine Nähe zwischen Schwarzen Menschen und Tieren unterstellt. "Mulatte" etwa geht auf Portugiesisch "mulo" (= "Maulesel, Maultier") zurück. Dieses Tier wird zu den "Bastarden" gezählt. In der Tier- und Pflanzenwelt gelten diese als nicht fortpflanzungsfähig. Eben dies wurde auch Kindern aus Beziehungen von Schwarzen und Weißen unterstellt.

Im Kontrast zu dieser Konstruktion von Afrika als "Natur" und Schwarzen Menschen als "Bindeglied zwischen Mensch und Tier" wird Europa als "Kultur" konstruiert. Dabei wird Europa nicht nur als überlegener Gegenpol dargestellt, sondern als "Norm" gesetzt. Das vollzieht sich in einem eher impliziten Verfahren. Wenn zum Beispiel "Naturvölker" im Gegensatz zu "Völkern", "Naturreligionen" zu Religionen und "Buschmänner" zu Männern bzw. Menschen stehen, wird ein spezifizierender Unterbegriff einem generischen Oberbegriff gegenübergestellt. Dieses Prinzip, das sich beispielsweise auch im aktuellen Begriff "Bananenrepublik" findet, weist darauf hin, dass sich koloniale Benennungen auch über eine Strategie der Asymmetrie vollziehen; d.h. in der Regel wird das, was aus weißer westlicher Sicht als abweichend und "anders" konstruiert wurde, benannt, während die vermeintliche Normalität weißer Kulturen nicht weiter spezifiziert, sondern durch den Oberbegriff bezeichnet wird. Dadurch vollzieht sich die Normsetzung unsichtbar und ist somit schwieriger zu hinterfragen, als wenn sie explizit gemacht werden würde.

Zudem basieren viele der Afrika betreffenden Neologismen und Bedeutungsübertragungen auf Konzepten von Chaos, Unordnung und Regellosigkeit. Diese Konnotationen zeigen sich etwa in Begriffen wie "Busch" und "Dschungel". Beide Begriffe bezeichnen nicht nur Vegetationszonen, sondern werden auch auf Kulturen und Menschen übertragen. In der weiß-deutschen Wahrnehmung kommen Afrikaner*innen aus dem "Busch". Dabei wird ignoriert, dass Dörfer und Städte immer in Naturräume hineingebaut werden und dennoch weder die Bewohner einer nigerianischen oder einer deutschen Metropole, noch eines deutschen oder eines nigerianischen Dorfes "im Busch" leben. Zudem ist problematisch, dass in der Übertragung von "Busch" auf Kulturen und Menschen auch die abwertenden Konnotationen wie etwa "angsteinflößend" und "ungeordnet" mit transferiert werden.

Die deutsche Afrikaterminologie zeigt exemplarisch, dass sich der koloniale Afrikadiskurs nachhaltig in die deutsche Gesellschaft eingeschrieben hat. Viele der im Kontext der Kolonialisierung geprägten Begriffe sind bis heute gebräuchlich. Oft werden sie sogar mit dem Habitus gebraucht, es sei legitim (weil historisch gewachsen) oder "nicht so schlimm", diese Wörter zu verwenden, es- wird vermerkt, dass der Begriff "veraltet" sei. Das ist etwa bei M* der Fall – obgleich er zumindest in der Lebensmittel- und Apothekenbranche allgegenwärtig ist. Die meisten Begriffe werden aber erst gar nicht als "abwertend" oder "veraltet" markiert. So heißt es im aktuellen Duden zum “Häuptling: Stammesführer, Vorsteher eines Dorfes bei Naturvölkern"  und unter "Hottentotten: Angehöriger eines Mischvolkes in Südwestafrika – Schwarzafrikaner“, ein rassistischer Begriff wird also mit einem anderen rassistischen Begriff umschrieben. Im Sprachgebrauch schlagen sich nicht nur Werte und Hierarchien einer Gesellschaft nieder, durch Sprache werden diese auch verfestigt und getragen. 


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