Für die Pflege eines kritischen Geschichtsbewusstseins

Für die Pflege eines kritischen Geschichtsbewusstseins
Warum ist diese Petition wichtig?
Ein Konzept zum Umgang mit Nationalsozialismus und Holocaust in Bayern
Seit dem 50. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus im Jahr 1995, anlässlich dessen die Bayerische Staatsregierung sich mit der Neukonzeption der KZ-Gedenkstätten ihrer Verantwortung für die Erinnerung an die NS-Verbrechen stellte, zählt die Gedenkkultur in Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus zu einem wichtigen Bereich staatlicher bayerischer Kulturpolitik. Doch heute, beinahe eine Generation später, bedarf es systematischer Überlegungen und politischer Entscheidungen, um die sich seitdem verändernde Gedenk- und Erinnerungslandschaft für die Zukunft zu erhalten. Aktuell beklagen nicht nur die größeren Institutionen der Gedenkkultur mangelndes Engagement seitens der Regierung, sondern auch vielerorts in Bayern aktive zivilgesellschaftliche Initiativen. Sie widmen sich den lange vergessenen Verfolgtengruppen, tragen zu Verständigung und internationalem Dialog bei und bemühen sich um Förderung für wichtige Bildungs- und Wissenschaftsprojekte.
Staatliche Förderung erhalten Einrichtungen und Projekte der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, die ab den 2000er Jahren als Dach für die beiden Gedenkstätten der ehemaligen Konzentrationslager Dachau und Flossenbürg dient – das Gedenken an die Außenlager mit eingeschlossen. Dazu bekommen die NS-Dokumentationszentren, die an für das NS-Regime wichtigen Orten zur Aufklärung und historischen Dokumentation entstanden sind – meist Dank jahrzehntelangem zivilgesellschaftlichen Engagement - zumindest Zugang zu staatlichen Förderungen, institutionell oder projektbezogen seitens Bund und Land: die Dokumentation Reichsparteitagsgelände (Nürnberg), die Dokumentation Obersalzberg (Berchtesgaden/Institut für Zeitgeschichte), das NS-Dokumentationszentrum München. Auch weitere Orte zur Erinnerung an jüdische Kultur und Geschichte in Bayern erhalten zumindest teilweise Zugang zu staatlichen Förderungen (Jüdische Museen). Eine transparente Übersicht über die Vergabe der staatlichen Mittel wie auch die damit verbundenen Aufgaben, Konzepte und Projekte existiert nicht. Dies gilt auch für den Aufgabenbereich des staatlichen Antisemitismusbeauftragten.
Jenseits staatlicher Anerkennung durch Förderung entstanden seitens lokaler und zivilgesellschaftlicher Initiativen Projekte zur Aufarbeitung der Verfolgung und des Gedenkens: an politischen Widerstand in Bayern, an die verschleppten Zwangsarbeiter: innen und Kriegsgefangenen aus allen Teilen Europas, an die Verfolgten und Opfer der Gesundheitspolitik, im speziellen auch die Opfer der „Euthanasie“-Morde, der Zwangssterilisation oder der Zwangsfürsorge wie auch an die Verfolgung und Emigration jüdischer Bürger: innen. Wichtige Erinnerungsorte sind in diesem Zusammenhang auch die Orte der Displaced Persons, die unmittelbar an oder in enger Nachbarschaft zu den Konzentrations- oder Zwangsarbeiterlagern entstanden sind. Vielen dieser Projekte gelang es, das Wissen, das erarbeitet wurde, wie auch gedenkkulturelle Erfahrungen und Bildungsformate zu veröffentlichen oder sichtbare Formen oder Orte des Gedenkens zu schaffen. Allerdings bleiben diese für die öffentliche Erinnerung und Auseinandersetzung nur so lange sichtbar und nutzbar, solange es engagierte Personen oder Gruppen gibt, die sich darum bemühen. Beide, staatlich geförderte Institutionen der Erinnerungskultur wie auch regionale und zivilgesellschaftliche Gedenkprojekte tragen zu einem hohen Maße die historisch-politische Bildung über den Nationalsozialismus an Schulen und Ausbildungsstätten. (Vgl. Erklärung der Kulturministerkonferenz 2014).
Vollkommen intransparent bleiben für gedenkkulturelle Initiativen mögliche Wege staatlicher Unterstützung. Bislang gibt es keine offiziell ausgeschriebenen Programme seitens des Kulturministeriums bzw. der Landeszentrale für politische Bildung wie auch des Wissenschaftsministeriums. Die Ankündigung im Koalitionsvertrag von CSU und FREIEN WÄHLERN im Jahr 2019, dass die Erinnerungsarbeit in Bayern gestärkt und mit einem Gesamtkonzept weiterentwickelt werde, ist ohne Folgen geblieben. Auch Nachfragen von Landtagsabgeordneten der GRÜNEN bleiben ergebnislos. Die Frage, wie ein Konzept für den Umgang mit Nationalsozialismus und Holocaust in Bayern in Zukunft aussehen und dabei ein kritisches Geschichtsbewusstsein erhalten und gepflegt werden soll, wird beschwiegen.
Wir fordern von der Bayerischen Staatsregierung ein Erinnerungskonzept, in dem Grundsätze für das Gedenken an die Verfolgten und Opfer der NS-Verbrechen in Bayern wie auch die historische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und ihren Folgen für die Gegenwart verbindlich formuliert werden. Dies sollte im Rahmen einer Kommission geschehen, in die Vertreter: innen aller Akteure der Erinnerungskultur einbezogen werden sollten: Vertreter: innen der Überlebenden, staatliche Institutionen, zivilgesellschaftliche Initiativen sowie Vertreter: innen aus Bildung und Wissenschaft.
Barbara Distel, ehemalige Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, München
Annette Eberle, Historikerin, Dachau
Agnes Krumwiede, MdB a.D., Vorsitzende des Bezirksverbandes Oberbayern von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN, Ingolstadt
Ilse Macek, Sprecherin der RAG München von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V
Sybille Steinbacher, Historikerin, Landkreis Dachau