Gesundheitsschutz an Berliner Schulen!

Gesundheitsschutz an Berliner Schulen!

Am 5. Januar 2022 bekräftigte die Kultusministerkonferenz nochmals ihren Kurs, dass an den Schulen trotz rasant steigender Infektionszahlen der Präsenzunterricht weiterhin oberste Priorität haben müsse. Die Konferenz selbst fand – aus Infektionsschutzgründen – selbstverständlich online statt.
In Berlin und Brandenburg steigt die Zahl der erkrankten Schüler*innen und Lehrer*innen seit Wochen dramatisch an. Zu unseren ohnehin schon vielfältigen Herausforderungen im Schulalltag kommt mit Corona eine große Belastung hinzu. Viele haben Angst – um die Gesundheit der Mitschüler*innen, Erziehungsberechtigten und Kolleg*innen sowie um die eigene Gesundheit. Seit den Herbstferien 2021 sind sehr viele unserer Schüler*innen sowie Kolleg*innen (trotz Impfung) an Corona erkrankt. Von ihnen leiden zwei an Long bzw. Post Covid. Sich bei den aktuellen Bedingungen in der Schule anzustecken, kann man kaum verhindern – wir feiern also eine “staatlich verordnete Masernparty” und werden gezwungen, unsere Gesundheit aufs Spiel zu setzen.
Während wir letztes Jahr um diese Zeit – weitestgehend gut funktionierenden – Distanzunterricht per Videokonferenzen gemacht haben, um – bei einer Inzidenz von unter 100 (in Berlin-Lichtenberg) – unsere Schüler*innen und das Schulpersonal nicht zu gefährden, findet jetzt (bei einer Inzidenz von 1500!) Präsenzunterricht mit voller Klassengröße statt. Wir als Schule dürfen nicht mehr eigenständig entscheiden, Distanz-, Hybrid- oder Wechselunterricht anzubieten. Ob Klassen mit vielen Coronafällen in den Onlineunterricht wechseln, bestimmt das Gesundheitsamt, das bei den hohen Inzidenzen ohnehin schon so überlastet ist, dass es inzwischen sowohl die Kontaktnachverfolgung als auch die Quarantäneanordnung für Infizierte eingestellt hat. Wir als Schulgemeinschaft können uns nicht mehr ausreichend schützen.
Lage aus wissenschaftlicher Sicht
Der Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, warnt eindringlich vor dem Narrativ, dass aufgrund der angeblichen Milde und der hohen Ansteckungsrate der Omikronvariante es nicht länger möglich und auch nicht notwendig sei, die Ausbreitung zu verhindern. Er sagt: “Wir fordern alle Länder auf, ihre Bevölkerung zu beschützen, indem sie jedes Werkzeug aus dem Werkzeugkasten benutzen.”
Wir lassen so viele Werkzeuge ungenutzt und dem Infektionsgeschehen freien Lauf. Warum hören wir nicht auf die Expert*innen? Warum reden wir uns weiterhin ein, es werde schon nicht so schlimm werden?
Die oft getätigte Behauptung, die Ansteckung mit Covid hätte eine Immunisierung zur Folge, ist laut aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht haltbar. Epidemiologe und aktueller Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach warnte bereits Anfang Januar: “Viele denken: Omikron verläuft milder, weshalb keine Durchseuchung? Die billige Impfung… Das wäre ein grosser [sic!] Fehler, viele Menschen würden schwer erkranken mit oft bleibenden Schäden. Für unsere Kinder wäre es ein absolut unverantwortbares Experiment.”
“Kinder erkranken aber doch nur selten schwer”, hört man von denen, die die ungehemmte Ausbreitung, die gerade in den Kitas und Schulen stattfindet, verteidigen oder gar befürworten. Das kann kein Argument für eine Durchseuchung sein, denn Kinder haben Eltern und Großeltern, die sie anstecken können. Seit Pandemiebeginn sind außerdem bisher mindestens 65 Kinder an Corona verstorben, ca. ein Drittel von ihnen allein in diesem Jahr. Zudem stieg die Zahl der Kinder, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen, seit November stetig an.
Die mit Abstand größte Gefahr lauert jedoch für die meisten nicht in der Krankheit selbst, sondern in ihren möglichen Folgeschäden, von denen Long Covid, eine andauernde Beeinträchtigung der physischen und psychischen Gesundheit, wohl der bekannteste ist. Symptome sind u. a. Atemnot, Konzentrationsschwäche, kognitive Dysfunktion und Depressionen. Halten die Beschwerden länger als 12 Wochen an, spricht man von Post Covid. Laut RKI leiden rund 10 % derjenigen, die einen milden bis symptomlosen Coronaverlauf hatten, Monate später an Atembeschwerden, Schlaflosigkeit, Geschmacksstörungen und Müdigkeit. Eine weniger bekannte mögliche Folge einer Coronainfektion ist das “Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome” (PIMS), eine Krankheit, die ausschließlich Kinder betrifft und laut RKI “ein schweres entzündliches Krankheitsbild” aufweist. Besonders schlimme Formen nimmt die chronische Erschöpfung für Menschen mit ME/CFS an, kurz für "Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrom". Fast die Hälfte der Long-Covid-Betroffenen leidet auch an ME/CFS. Symptome sind Belastungsintoleranz bis hin zur dauerhaften Bettlägerigkeit. Weiterhin kann eine Covid-Erkrankung das Entstehen von Demenz sowie Parkinson begünstigen sowie zur Atrophie (Verlust von Hirnmasse) führen.
Psychische Gesundheit
Ein beliebter Einwand gegen Distanzunterricht sind die psychischen Belastungen, welchen Kinder durch andauernde Isolation ausgesetzt sind. Allerdings können diese nur ein Scheinargument sein, wenn sie von Politiker*innen als Vorwand fürs Nichtstun angeführt werden – denn wenn diesen die Kinder wirklich wichtig wären, hätten sie so viel mehr getan, um sowohl die psychische als auch die physische Gesundheit von Kindern zu schützen. Zum Beispiel mithilfe des ausgeklügelten, von Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen entwickelten Notfallplans, der leider von den zuständigen Bildungsministerien komplett ignoriert oder mit der Begründung abgelehnt wurde, man sei gut genug vorbereitet. Stattdessen werden psychische und physische Gesundheit gegeneinander ausgespielt, als müsse man eines automatisch für das andere aufgeben. Als gäbe es zwischen “Präsenzunterricht um jeden Preis” und “Schulen komplett dicht” nicht zahlreiche sinnvolle Zwischenlösungen.
Außerdem wird bei solchen Argumenten gern übergangen, dass die Psyche der Kinder natürlich auch unter den aktuellen Bedingungen leidet: Die Angst zu erkranken oder jemanden anzustecken, das Gefühl, dem Virus schutzlos ausgeliefert zu sein und die Gewissheit, dass die Bedürfnisse und die Gesundheit der Kinder in der Politik kaum eine Rolle spielen, das alles ist für die Psyche ungemein belastend.
Genauso wenig wird auf die psychische Verfassung von Kindern und Erwachsenen in sogenannten “Schattenfamilien” Rücksicht genommen, also jenen Familien mit vorerkrankten Mitgliedern, die sich aufgrund der hohen Zahlen massiv isolieren müssen, um ihre vulnerablen Mitglieder, die ein erhöhtes Risiko haben an Corona zu sterben, nicht zu gefährden. Eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist bei den hohen Inzidenzen für diese Menschen schlicht nicht möglich. Das hat verheerende Auswirkungen auf ihre Psyche.
Politische Untätigkeit
All diese Dinge werden nicht bedacht oder absichtlich ignoriert von denen, welche die Durchseuchung mit dem psychischen Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen begründen. Die Heuchelei solcher Politiker*innen wird besonders ersichtlich, wenn man sich deren relativierende bis ablehnende Reaktionen auf die kürzlich gestartete Petition #WirWerdenLaut ansieht, eine bundesweite Initiative von Schüler*innen, welche sich für die Umsetzung der vom Robert-Koch-Institut empfohlenen
Maßnahmen in Schulen einsetzen, das heißt u. a.: Quarantäneregelungen, die auch tatsächlich der Infektionseindämmung dienen, Luftfilter in allen Räumen, kostenlose FFP2-Masken für Lehrende und Lernende, Reduktion der Lerngruppengrößen, mehr Angebote für die Notbetreuung, bessere technische Ausstattung der Schulen, PCR-Pooltests als Ergänzung zu den Schnelltests, die teilweise eine sehr schlechte Qualität haben, u. v. m.
Die zuständigen Politiker*innen haben leider in den letzten zwei Jahren versäumt, den Balanceakt zwischen Präsenzunterricht und Infektionsschutz an Schulen praktikabel zu machen.
Die lange großspurig angekündigten Dienstgeräte für die Lehrkräfte beispielsweise kamen mit neun Monaten Verspätung bei uns an und es fehlen elementare Funktionen, sodass sie leider in der Praxis untauglich sind.
Von Luftfiltern war sehr lange die Rede, sehr lange ist nichts in dieser Richtung passiert. Jetzt erst, zwei Jahre nach Pandemiebeginn, hat unsere Schule Luftfilter in einer angemessenen Stückzahl bekommen, sodass nach und nach immerhin die meisten Räume mit einem Filter ausgestattet werden können. An vielen anderen Schulen sieht es damit immer noch mau aus.
Die Präsenzpflicht für Schüler*innen wurde in Berlin kürzlich vorübergehend ausgesetzt – an sich eine gute, längst überfällige Maßnahme, doch leider in der Umsetzung – mal wieder – eine totale Hauruckaktion, auf die sich die Schulen von heute auf morgen einstellen mussten. Auch hier werden wir, was Konzepte betrifft, allein gelassen.
Zusammenfassung
Folgende Dinge müssen dringend passieren:
• Die Sorgen so vieler Kinder, Jugendlicher, Eltern und Pädagog*innen, die sich – im Gegensatz zur Querdenkerbewegung – auf Fakten und auf den wissenschaftlichen Konsens stützen, müssen dringend ernstgenommen und dürfen nicht weiter ignoriert werden.
• Schulen sollten selbst entscheiden dürfen, wann sie Präsenz-, Wechsel-, Hybrid- oder – als äußerste Maßnahme – Distanzunterricht anbieten. Sie sollten darin durch Konzepte und Fortbildungen unterstützt werden, um eine Mehrbelastung der ohnehin schon überlasteten Lehrkräfte zu vermeiden.
• Passende (!) FFP2-Masken sollten in ausreichender Menge allen Beteiligten zur Verfügung stehen.
• Lehrkräften sollte eine unbeschränkte Nutzung der Dienstgeräte gewährt werden mit allen Funktionen, die einen modernen Unterricht mit digitaler Unterstützung ermöglichen.
• Alle Schulen sollten mit ausreichend Raummikros ausgestattet werden, um Teilnahme der Schüler*innen am Unterricht zu ermöglichen, die sich in Quarantäne befinden oder aus anderen Gründen nicht am Präsenzunterricht teilnehmen.
• In allen Räumen sollten Luftfilter aufgestellt werden.
Zur Langfassung mit Quellen geht es hier: Link zur Langfassung
Erstunterzeichnende:
Jeschek, Fanny (Initiatorin, Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Bockhardt, Steven (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Díaz de Arce, Grit (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Fickenscher, Dorit (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Franke, Anette (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Gorn, Michael (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Gröpler, Alette (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Güldner, Elke (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Heber, Jaqueline (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Herberg, Stephan (Schulleiter Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Huschner, Roland (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Kraft, Cornelia (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Laidig, Sabine (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Löhlein, Susanne (Grüner Campus Malchow)
Matzkowski, Sylvia (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Maus, Brian (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Montag, Patricia (Grüner Campus Malchow)
Mosch, Romina (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Miller, Ann-Careen (Grüner Campus Malchow)
Müller, Janine (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Pelzer, Michaela (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Reile, Robert (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Schönefeld, Beate (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Schröder, Franziska (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Schulze, Sina (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)
Wuttig, Frank (Manfred-von-Ardenne-Gymnasium)